Wir treffen Gemeindepräsident Aron Moser in seiner Mittagspause auf einen Teller Capuns. Er freut sich über den guten Ruf von Vaz/Obervaz, gleichzeitig bedauert er, dass etwas anderes weniger bekannt ist: «Unsere Gemeinde ist eine der nachhaltigsten der Schweiz», sagt Aron Moser, «doch das tragen wir noch zu wenig in die Welt.»
2003 wurde Vaz/Obervaz mit dem Label «Energiestadt» ausgezeichnet, «als erste im Kanton Graubünden», ergänzt Aron Moser. Die Auszeichnung bescheinigt dem Bergort, eine nachhaltige kommunale Energiepolitik vorzuleben und umzusetzen. 2007, 2012 und 2016 folgten weitere Energie-Zertifizierungen und dieses Jahr – hoffentlich – die Krönung: Vaz/Obervaz könnte das exklusive Label «Energiestadt Gold» Label verliehen werden, «die höchste Auszeichnung für Städte und Gemeinden, die sich kontinuierlich für eine effiziente Nutzung von Energie, erneuerbare Energien und Klimaschutz engagieren», wie es auf der Website von EnergieSchweiz heisst.
«All diese Auszeichnungen», so sagt Aron Moser, «wären nicht möglich gewesen ohne ewz». Die Geschichte der Gemeinde ist eng verknüpft mit dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz): Bereits im Juli 1900 erteilte die Gemeinde Vaz/Obervaz der Stadt Zürich das Recht, in Solis an der Albula ein Elektrizitätswerk zu erstellen. Die Stadt Zürich verpflichtete sich, eine einmalige Gebühr und zudem eine jährliche Taxe zu leisten. Ferner erhielt die Gemeinde anfangs unentgeltlich 150 PS Strom. «Die Beziehung zwischen ewz und Vaz/Obervaz ist über 100 Jahre alt. Gemeinsam sind wir gewachsen», sagt Aron Moser, «und gemeinsam fördern wir die Nachhaltigkeit.»
Dazu gehört, dass man stetig neue Wege geht: «2013 entwickelten ewz und wir eine neue, innovative Lösung: die Tranche», sagt Edgar Bisig, Leiter Werke und verantwortlich für die Strombeschaffung von Vaz/Obervaz: Um dem stark schwankenden Strompreis weniger ausgesetzt zu sein, kann die Gemeinde den Preis für eine gewisse Strommenge – eine Tranche – fixieren. 30 solcher Teilmengen setzt Vaz/Obervaz pro Jahr fest. «Damit sind unsere Stromausgaben besser planbar», so Bisig, «der Preis ist gemittet: Wir nehmen nicht jede Welle mit – das ergibt einen langfristig attraktiven Preis.» Die Idee der Tranche stammt übrigens von einem ewz-Mitarbeiter, der früher in der Rohstoffbranche tätig war, wo solche Modelle weitverbreitet sind. Heute ist die Strombeschaffung in Tranchen ein Branchenstandard.
«Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde ist wirklich ausserordentlich gut», sagt Aurelio Capeder, Leiter Verkauf und Beratung Markt Graubünden bei ewz. «Man kennt sich schon lange und vertraut sich.» 30 ewz-Kunden haben heute eine Tranchenlösung, doch die von Vaz/Obervaz bleibt speziell: «Die Gemeinde kauft spezifische Tranchen für die Bergbahnen, KMU und Hotels und für alle anderen Endkunden», erklärt Aurelio Capeder: Da diese Endkunden-Gruppen jeweils spezifische Nutzungsprofile aufweisen, werden sie in «Pools» zusammengefasst.
«All diese Betriebe möchten sich nicht um die Strombeschaffung kümmern», sagt Edgar Bisig, «ein Hotel, ein Restaurant oder ein Bikeshop sind froh, dass sie mit der Tranchenlösung einen guten Preis bekommen, der relativ konstant und transparent ist.» Es sei auch eine Frage des Vertrauens: «Diese Betriebe wissen, dass wir hinter ihnen stehen und alles für sie tun», sagt Edgar Bisig.
Total beliefert das Elektrizitätswerk Vaz/Obervaz rund 5800 Endkund*innen mit ewz-Strom. Der Verbrauch liegt bei über 50 Millionen kWh pro Jahr, wobei nur mit Schweizer Wasserkraft produzierter Strom verwendet wird. Alleine im Kanton Graubünden betreibt ewz 12 Wasserkraftwerke. «In ganz Vaz/Obervaz gibt es keine graue Energie, auch in der Grundversorgung nicht», sagt der Leiter Werke Edgar Bisig. Ausserdem würden die Verbraucher zu einem moderaten Verbrauch angehalten: «Wir sagen ihnen: baut eine Fernbedienung für die Heizung ein und stellt sie nur an, wenn Ihr sie nutzt», so Bisig, «und wir unterstützen Fassaden- und Heizungssanierungen mit Beratungen.» Die Nachricht ist immer die gleiche: Die Bewohner*innen sollen sparsam mit der Energie umgehen.
«Wir wollen das Label «Energiestadt» leben», betont auch Gemeindepräsident Aron Moser. Das geschehe durch kleine Projekte wie der Ausstattung jeder neuen Bushaltestelle mit einer Solarbeleuchtungsanlage. Oder durch grössere Projekte wie der riesigen Photovoltaikanlage auf dem Lenzerheide Sportzentrum, die jährlich bis zu 186'000 Kilowattstunden Strom liefert. «Während der Saison erreichen wir da 100 Prozent Eigenverbrauch», erzählt Aron Moser. ewz hat den Bau der Photovoltaikanlage mitgetragen, wie es auch den ersten elektrischen Sportbus im Kanton unterstützte, der in der Saison 2019/20 seine Premiere feierte und Hauptsponsor ist beim grössten jährlichen Anlass der Region, dem Zauberwald Lenzerheide (ein nachhaltiges Musik- und Lichterfestival).
Die Bevölkerung der fünf Fraktionen (Lenzerheide, Valbella, Lain, Muldain und Zorten) und der Weiler Obersolis von Vaz/Obervaz steht hinter der nachhaltigen Politik der Gemeinde: «Alle Abstimmungen zu diesem Thema liessen keine Zweifel offen: Die Bürger*innen wollen eine solche Politik» sagt Gemeindepräsident Aron Moser. Er ist voller Tatendrang, die nächsten Projekte sind bereits geplant: Die erste 30er-Zone, der ganzjährige E-Busbetrieb («der neue Bus sieht super aus») und in vielleicht fünf Jahren ein Ausbau des Wärmeverbundes.
Nach einem kurzen Stopp beim neuen Gemeindehaus – natürlich im Minergie-P-Standard gebaut – verlassen wir Lenzerheide. Am Wegrand steht ein grosses Turbinenrad mit ewz-Logo drauf. Die über 100-jährige Partnerschaft steht für eine nachhaltige Zukunft.