Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Als Folge davon kann langwellige Wärmestrahlung nicht mehr ungehindert ins Weltall entweichen. Dadurch steigen die Temperaturen auf der Erde an. Um die Klimaerwärmung zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen, müssen die Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) drastisch reduziert werden.
2015 haben sich fast 200 Staaten im Rahmen des Übereinkommens von Paris darauf geeinigt, die Klimaerwärmung auf deutlich unter 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auf Basis dieses Ziels will die Schweiz bis 2050 Netto-Null erreichen. Das bedeutet, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestossen werden, als der Luft durch natürliche oder technische Massnahmen wieder entzogen werden. Da sich nicht alle THG-Emissionen vermeiden lassen, sind für Netto-Null nebst einer Emissionsreduktion auch sogenannte Negativemissionstechnologien nötig, die der Atmosphäre dauerhaft Treibhausgase entziehen.
Für ungefähr 40% der globalen THG-Emissionen ist der Gebäudebereich verantwortlich. Entsprechend gross ist das Reduktionspotenzial – und damit auch die Verantwortung, die den Akteur*innen der Branche zukommt. Um das Bewusstsein für die Dringlichkeit einer raschen Reduktion der THG-Emissionen zu fördern, muss bekannt sein, wo und wann ein Gebäude über seinen ganzen Lebenszyklus THG ausstösst und wie sich diese reduzieren lassen.
Diesen Fragen hat sich die WBCSD-Studie «Net-zero buildings: Where do we stand?» gewidmet. Anhand von sechs Beispielprojekten untersuchte die Organisation, in welchen Phasen des Lebenszyklus eines Gebäudes wie viele THG-Emissionen entstehen. Dabei zeigte sich, dass das «Operational Carbon», also die THG-Emissionen der Betriebsenergie, knapp die Hälfte aller Emissionen ausmacht. Rund ein Drittel entfällt auf das «Upfront Carbon» (Erstellung und Materialien) und ein Fünftel auf das «Embodied Carbon» (Emissionen aus Nutzungsphase und Rückbau).
Mit einer Ökobilanz lassen sich die THG-Emissionen eines Gebäudes sichtbar machen. In der Schweiz nutzt man dafür standardmässig die Ökobilanzdaten im Baubereich, welche die THG-Emissionen zahlreicher Baumaterialien umfassen – von der Primärstruktur über Fassadentypen bis hin zu gebäudetechnischen Komponenten. Allerdings sind die Werte mehrheitlich Annäherungen, weil für viele Produkte keine genauen Daten bekannt sind. Trotzdem sind Ökobilanzen ein wertvolles Instrument: Sie lassen sich zur Variantenbildung oder als Entscheidungsgrundlage nutzen, um Umweltauswirkungen zu reduzieren oder zu vermeiden.
Welche Handlungsfelder gibt es für Planer*innen und Bauherrschaften, um beim Bauen die THG-Emissionen möglichst stark zu reduzieren? Eine Annäherung an das Netto-Null-Ziel ermöglichen beispielsweise die folgenden Massnahmen:
Übrigens: Wann im Lebenszyklus einer Immobilie die meisten CO₂-Emissionen entstehen und wie sie sich reduzieren lassen erfahren Sie auch in unserem Whitepaper. Es zeigt, dass eine Annäherung an Netto-Null heute bereits möglich ist.
Zieht man die gesamten grauen Emissionen in den Vergleich ein, schneidet die Sanierung in vielen Fällen besser ab als ein Ersatzneubau. Der Grund: Bei der Sanierung bleibt die Primärstruktur mehrheitlich erhalten. Weil diese häufig aus Beton und Backstein besteht, die viele graue Emissionen beinhalten, ist es wichtig, diese Gebäudeteile möglichst lange zu nutzen.
Wie klimaverträglich ein Bauprojekt ist, lässt sich bereits mit dem architektonischen Konzept beeinflussen. Einen Beitrag zur Emissionsreduktion leisten unter anderem eine optimierte Geometrie, eine materialeffiziente Gebäudestruktur, die Wahl langlebiger Materialien sowie kompakte Baukörper mit einer schlanken Tragstruktur.
Der ökologischste Quadratmeter ist jener, der nicht gebaut wird. Deshalb lohnt es sich, Gedanken zu flächensparenden Grundrisskonzepten zu machen. Eine bewährte Lösung im Wohnungsbau ist, den individuellen Raumbedarf zu reduzieren und stattdessen Gemeinschaftsräume wie Gästezimmer oder Hobbyräume anzubieten.
Komplett emissionsfrei sind heute die wenigsten Baumaterialien, aber viele sind zumindest emissionsarm. Dazu gehören unter anderem Baustoffe biogener Herkunft wie Holz, Dämmmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen wie Stroh oder Zellulose sowie klimaoptimierte Betonarten. Da Beton rund 8% der globalen THG-Emissionen verursacht, liegt dort ein besonders grosser Hebel. Verschiedene Firmen haben Lösungen entwickelt, die den CO₂-Fussabdruck von Beton deutlich senken.
Um die Klimaauswirkungen zu begrenzen, sollten Gebäude und Bauteile langlebig und wiederverwendbar sein. Dieses Ziel verfolgt die Kreislaufwirtschaft: Materialien und Produkte bleiben über lange Zeit im Umlauf, statt sie wie beim linearen Wirtschaftssystem am Ende ihrer Lebensdauer zu entsorgen. Das senkt nicht nur den Verbrauch an Primärrohstoffen, es fällt auch weniger Abfall an.
Recycling
Der Schweizer Gebäudepark ist ein immenses Materiallager: Rund 3,2 Milliarden Tonnen sind darin verbaut. Je mehr davon nach einem Rückbau recycelt werden kann, desto besser ist es fürs Klima. Damit dies gelingt, sollte die sortenreine Trennung von Baustoffen bereits in der Planung berücksichtigt werden.
Energiekonzept
Nach wie vor werden viele Immobilien hierzulande mit fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas beheizt, obwohl ein fossilfreier Betrieb heute an allen Standorten möglich ist. Geeignete Lösungen für eine emissionsarme Wärmeversorgung sind Wärmepumpen, thermische Netze oder Holzheizungen. Wichtig ist auch, dass Dach- und Fassadenflächen für die Photovoltaik genutzt werden.
Energetische Betriebsoptimierung
Eine energetische Betriebsoptimierung (eBO) wenige Monate nach Inbetriebnahme einer Immobilie ist eine rasche und günstige Methode, um einen energieeffizienten Betrieb sicherzustellen. Damit lassen sich etwa 10 bis 15% der Betriebsenergie einsparen, was Kosten und Emissionen reduziert. Eine eBO ist im Gegensatz zu einer energetischen Erneuerung nicht mit grossen Investitionen verbunden.
Bauen nach Netto-Null hat auch einen positiven Effekt auf die Rentabilität. So ist es heute in den meisten Fällen wirtschaftlich lukrativer, auf ein erneuerbares Energiesystem, statt auf fossile Brennstoffe zu setzen. Die Investitionskosten liegen zwar teilweise höher, dafür fallen die Energiekosten tiefer aus. Wichtig ist, eine Kostenanalyse über den gesamten Lebenszyklus zu machen. Wie eine Studie der Beratungsfirma Wüest Partner zeigt, sind Wohnliegenschaften mit einem emissionsfreien Betrieb aufgrund der höheren Ertragspotenziale im Durchschnitt wertvoller als mit fossilen Energieträgern beheizte Gebäude – selbst wenn man die höheren Investitionskosten berücksichtigt. Auch Suffizienzmassnahmen können zu Kostensenkungen führen, weil weniger Fläche verbaut und weniger Material verbraucht wird. Wer auf Holzbau setzt, baut ebenfalls oft günstiger, weil die Herstellung respektive Verarbeitung weniger energieintensiv und die Transportwege kürzer sind als bei anderen Baustoffen.
Dass das Bauen nach Netto-Null nicht nur auf dem Papier funktioniert, sondern sich auch in der Praxis umsetzen lässt, belegen verschiedene Beispiele. Beim Hobelwerk-Areal in Winterthur etwa stehen Massnahmen wie der Ersatz von Beton durch Holzkonstruktionen oder das Wiederverwenden von Bauteilen im Fokus. Ähnliche Methoden werden auch beim Gebäude Vergé auf dem Greencity-Areal in Zürich umgesetzt. Nebst der Wahl emissionsarmer Materialien trägt auch die erneuerbare Energieversorgung durch ewz zu einer Annäherung ans Netto-Null-Ziel bei. Ein drittes Beispiel ist der neue Hauptsitz von Sonova Communications in Murten. Das Gebäude kommt dank hochwertiger Dämmung und einer grossen thermischen Speichermasse ohne aktive Heizung und Kühlung aus und ist damit im Betrieb CO₂-neutral.
Bauliche Massnahmen und ein innovatives Energiekonzept reduzieren die CO₂-Emissionen des Neubaus Vergé in Greencity deutlich.